Kapp-Forschungspreis 2016 für Lorenz Stör
Im Rahmen der Jahrestagung der VÖÖ wurde am Freitag, den 14. Oktober 2016 am Umwelt-Campus Birkenfeld der Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie 2016 an drei Wissenschaftler verliehen.
Pressemitteilung
Der Politikwissenschaftler und Ökonom Lorenz Stör erhielt ein Preisgeld in Höhe von 1.500 Euro für seine an der Wirtschaftsuniversität Wien geschriebene Masterarbeit „Conceptualizing power in the context of climate change – A multi-theoretical perspective on structure, agency and power relations“. Die Studie bearbeitet ein Desiderat ökonomischer Forschung, in der Fragen von Macht und Herrschaft bislang kaum behandelt werden. Dies gilt selbst für den Bereich der ökologischen Ökonomie und ihrer wachstumskritischen Auseinandersetzungen mit dem herrschenden Wirtschaftssystem. Die Arbeit zeigt diese Defizite auf und bieten einen umfassenden Theorieüberblick, um diesen anschließend anhand der politik-ökonomischen Facetten des Klimawandels zu kontextualisieren.
Die Arbeit von Lorenz Stör leistet einen Beitrag zur Sensibilisierung für die Bedeutung von Macht- und Herrschaftsfragen im Kontext der ökologischen Ökonomie und der Wachstumskritik. Lorenz Stör beeindruckte die Jury mit einer inhaltlich dichten und zugleich sehr elegant geschriebenen Arbeit. Die Ergebnisse seien für die Untersuchung von Macht- und Herrschaftsfragen beim Übergang zu einer Postwachstumsökonomie von großem Nutzen, so die Jury in ihrer Begründung.
Die anlässlich der Preisverleihung von Jury-Mitglied Benjamin Best gehaltene Laudatio finden Sie hier.
Die Arbeit ist als VÖÖ Discussion Paper 5 im Volltext veröffentlicht. Auszüge daraus werden als Buchkapitel erscheinen: Stör, L. (2017) Theories of Power. In: Clive L. Spash (Hrsg.) The Routledge Handbook of Ecological Economics: Nature and Society. Abingdon, Routledge.
Zusammenfassung der Arbeit
(englische Fassung unten)
Die vorwiegend positivistische Herangehensweise der Ökonomik an das jeweilige Forschungsobjekt nicht in der Lage, Macht und Herrschaft in ihrem komplexen Zusammenspiel von akteursbezogenem Handeln und strukturellen Faktoren zu begreifen. So mangelt es auch in der ökologischen Ökonomie und ihrer wachstumskritischen Auseinandersetzung oft an machtsensiblen Konzeptualisierungen. Die vorliegende Arbeit zeigt diese Defizite auf und bietet einen umfassenden Theorieüberblick, um diesen anschließend anhand der polit-ökonomischen Facetten des Klimawandels zu kontextualisieren.
Das einführende Kapitel diskutiert grundlegende Aspekte von Macht anhand der klassischen Gegenüberstellung von Struktur und Handlung. Die gängige positivistische Herangehensweise wird im anschließenden Kapitel um einen post-positivistischen Ansatz erweitert. Der kritische Realismus dient dabei als ein wissenschaftstheoretischer Ansatz, um sowohl Struktur als auch Handlung als Formen der Macht anzuerkennen und zu integrieren. Das dritte Kapitel der Arbeit widmet sich in einem historischen Überblick einer Auswahl von relevanten Machttheorien. So werden Neben Hobbes und Machiavelli als die neuzeitlichen Wegbereiter der Diskussion auch Arbeiten des 20. Jahrhunderts von Dahl, Bachrach & Baratz, Lukes, Gramsci, Laclau & Mouffe, Giddens, Foucault und Clegg kurz beleuchtet. Die vielfältigen Ausprägungsformen von Macht und Herrschaft ist nur multi-theoretisch erfassbar und kann nur so in weiterführenden empirischen Analysen einem umfassenden und nicht-reduktionistischen Anspruch gerecht werden. Die beleuchteten Theorien werden im vierten Kapitel anhand der Frage von Struktur und Handlung kontextualisiert und somit in Beziehung zu einander gebracht. Das fünfte Kapitel bietet einen Ausblick auf künftige machttheoretische Forschung im Kontext der zukünftigen globalen Herausforderungen. Als empirisches Beispiel dient dabei das Thema des Klimawandels. Die Machtmechanismen, welche beim Ringen um (globale) Lösungsstrategien zum Klimawandel eine Rolle spielen, werden unter Verwendung des zuvor erarbeiteten Kontexts systematisch in den drei Ebenen der Handlung, der Mechanismen und der Strukturen dargelegt. Dabei offenbart sich exemplarisch die Vielschichtigkeit und Relevanz von Macht im Bezug auf Themen der ökologischen Ökonomie.
Auf der Akteurebene spielt die Ausübung von Staatsgewalt im Rahmen zivilgesellschaftlicher Proteste eine Rolle bei der sichtbaren Manifestation von Macht. Konkrete Fallbeispiele sind Aktionen zivilen Ungehorsams, wie die friedliche Besetzung des rheinischen Braunkohlereviers im Sommer 2015. Aber auch die UN-Klimaverhandlungen sind Beispiele von klassischer Machtausübung in Form von Dominanz einzelner interessengeleiteter Akteure und deren diskursiver Praktiken, wie die technologische Fokussierung auf Effizienz und die weitgehende Missachtung von Suffizienz in der Debatte um eine effektive Verminderung des menschengemachten Klimawandels.
Komplexer werden die Formen der Macht bei der Frage der Mechanismen, die bestimmte Lösungsansätze erlauben und dabei andere Alternativen unterdrücken. Dazu gehören überwiegend marktbasierte Lösungen zur Regulierung von Klimaschäden wie der Handel mit Emissionszertifikaten als eine Form der Kommodifizierung von bisher nicht-ökonomischen Lebensbereichen. Diese Formen entwickelten sich im Kontext eines postfordistischen Akkumulationsregimes ab den 1970ern und der damit einhergehenden Verschiebung der Regulierungsform vom Staat hin zum Markt. Diese Regulierungsform ist heute eine wesentliche Grundlage der weitestgehend hegemonialen ‚green economy’ Strategien und unterdrücken dabei alternative Ansätze einer Wirtschaft ohne Wachstum, die den Anspruch haben, über die bereits vorhandenen Nischenprojekte hinaus Wirkung zu erzielen.
Dieser Aspekt leitet über zur dritten und letzten Ebene der strukturellen Formen der Macht. Was in materialistischen Ansätzen als Regulierungsform beschrieben wird, benennen Foucault und post-strukturalistische Ansätze als (neoliberale) Governmentalität. Dabei werden alternative Spielfelder ökonomischer und gesellschaftlicher Organisation strategisch umgangen und strukturell verhindert. Während die Diskussion um die Herrschaftsformen des Kapitalismus schon immer eine zentrale Rolle in kritischen Wissenschaften spielt, ist Wirtschaftswachstum in fast allen Produktions- und Konsummustern unumstritten. Ein Wachstumsdispositiv beherrscht somit die diskursiven wie materialistischen Denk- und Konsummuster in einem Ausmaß, welches eine Wirtschaft ohne Wachstum im Rahmen heutiger Gesellschaftsformen unmöglich erscheinen lässt.
Mit der systematischen Analyse dieser Machtformen und ihrer Unterteilung in drei Ebenen leistet die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Sensibilisierung für die Bedeutung von Macht im Kontext der ökologischen Ökonomie und der Wachstumskritik. Sie zeigt, dass ein umfassender Blick auf Handlung und Struktur notwendig ist, um bestehende Konfliktlinien zu identifizieren und Gesellschaft progressiv zu gestalten. Der exemplarische Blick auf den Klimawandel bietet konkrete empirische Ansatzpunkte für eine solche Veränderung.
Summary
The predominantly positivist approach in economics towards the object of study is not able to grasp power and domination in its complex interaction of agency and structure. But also in ecological economics and its critique to economic growth, there is a lack of conceptualizations that are sensible to questions of power. The work reveals such deficits and offers a comprehensive theory overview. This overview is then contextualized along the political-economic facets of climate change.
The introductory chapter discusses fundamental aspects of power in the context of structure and agency. The common positivist approach in economics is complemented by a post-positivist approach in the following chapter. Critical realism serves as the philosophy of science here, to acknowledge and integrate structure and agency as forms of power. The third chapter provides an historical overview of selected theories of power. It depicts how the strategic and the episodic understanding of power by Machiavelli and Hobbes respectively, informed later power theories. Theorists such as Dahl, Bachrach & Baratz, Lukes, Gramsci, Laclau & Mouffe, Giddens, Foucault and Clegg are discussed. The aim is to highlight the relevance for a multiplicity of power concepts in economic research. The following chapter puts in context their respective positions on human agency and social structures as the source of power. The fifth chapter initiates an outlook for potential power research on future global challenges. The powers that play a role in the quest for solutions on the issue of climate change are systematically separated in the multiple levels of agency, mechanisms and structure. This serves as an exemplary case to depict the complexity but relevance of power on objects of research in ecological economics.
On the agency level, the exertion of state authority on civil society protests plays a role in the visible manifestation of power. Acts of civil disobedience, such as the non-violent blockade of a coal pit in August 2015 in the Rhineland, Germany to obstruct the exploitation of lignite are useful examples. Also the UN climate negotiations show the exertion of power appearing as a form of dominance of particular actors led by vested interests. This also includes discursive practices, such as the technological focus on efficiency and the vast disregard of sufficiency in the debate around effective abatement of human induced climate change.
Forms of power become more complex on a second level with the appearance of mechanisms that allow certain problem-solving approaches while supressing other alternatives. Market-based solutions to regulate harmful climate change such as the trading of emissions certificates as a form of commodification of hitherto non-economic areas are one of them. Such forms developed in the context of a post-fordist accumulation regime from the 1970s on and came along with a shift from the state to the market as the dominant form of regulation. This form of regulation is a substantial basis for today’s largely hegemonic ‘green economy’ strategies and supress alternative forms of an economy without growth.
This aspect leads over to the third and last level of structural forms of power. Foucault and post-structuralist approaches describe them as (neoliberal) governmentality. Alternative “playing fields” of economic and societal organisation are strategically bypassed and structurally avoided. While there has long been an extensive discussion of the dominating character of capitalism, the necessity for economic growth is widely consensual in nearly all systems of production and consumption. A ‘growth dispositiv’ thereby dominates the materialist and discursive patterns of reasoning to the extent that renders an economy without growth seemingly impossible in today’s form of society.
With the systematic analysis of forms of power and its threefold division, this work contributes to the consideration of power in the context of ecological economics and its critique to growth. The works shows, that a comprehensive perspective on both, structure and agency, is necessary to identify existing lines of conflict and shape society progressively. The exemplary case on climate change provides clear empiric matter for such a transformation.