Kapp-Forschungspreis 2016 für Johannes Buhl

Kapp-Forschungspreis 2016 für Johannes Buhl

Im Rahmen der Jahrestagung der VÖÖ wurde am Freitag, den 14. Oktober 2016 am Umwelt-Campus Birkenfeld der Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie 2016 an drei Wissenschaftler verliehen.

Pressemitteilung

Der Soziologe Johannes Buhl erhielt 2.000 Euro für seine an der Universität Bamberg geschriebene Dissertation zum Thema „Rebound-Effekte im Steigerungsspiel – Zeit- und Einkommenseffekte in Deutschland“. Die Studie zielt auf ein vertieftes Verständnis von Zeit-Rebound-Effekten im Kontext soziologischer Theorien der Steigerung und Beschleunigung. Im Zentrum seiner empirischen Arbeiten steht die Überprüfung einer dreifachen Dividende von Arbeitszeitverkürzungen. Inwieweit werden dadurch Ressourcen geschont und nehmen soziales Engagement und individuelle Lebenszufriedenheit zu? Mit welchen Rebound-Effekten ist zu rechnen, wenn Menschen Freizeit gewinnen, aber Einkommen verlieren? Johannes Buhl kommt zu dem Ergebnis, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit trotz Zeit-Rebound-Effekte in der Summe eine ökologisch vorteilhafte Verschiebung der Konsumausgaben und Zeitverwendung zur Folge hat. Davon abgesehen äußern sich Zeit-Rebound-Effekte in sozialem Engagement und individueller Zufriedenheit – erwünschte Wirkungen von Rebound-Effekten.
Aus Sicht der Jury ist die Arbeit von Johannes Buhl nicht nur wegen ihres hohen wissenschaftlichen Niveaus und der brillanten Methodik herausragend. Sie vertieft überdies ein Themenfeld, das innerhalb der Nachhaltigkeitsforschung und -praxis bislang weitgehend unbeleuchtet blieb. Rebound-Effekte erweisen sich zusehends als die Achillesferse einer an Nachhaltigkeit orientierten Transformation. Johannes Buhl gelingt es, ein breites Spektrum unterschiedlicher Rebound-Wirkungen zu bearbeiten. Daraus ergeben sich erhebliche Konsequenzen für ein zielführendes Nachhaltigkeitsmanagement.
Die anlässlich der Preisverleihung von Jury-Mitglied Prof. Dr. Niko Paech gehaltene Laudatio finden Sie hier.
Das Werk wurde 2016 im Nomos-Verlag veröffentlicht, ISBN 978-3-8487-2823-7 , 69 €.

Zusammenfassung

(englische Zusammenfassung siehe unten)

Das Steigerungsspiel – Wenn Menschen mehr erleben und mehr tun wollen

Rebound-Effekte sind die unerwünschten Wirkungen vieler Nachhaltigkeitsbemühungen. Sie zeigen, dass gespartes Geld und gewonnene Zeit wieder reinvestiert werden, damit wir mehr vom Leben haben, mehr tun und mehr erleben können – Rebound-Effekte sind Teil des Steigerungsspiels. Die Idee vom Mehrkonsum oder Mehrverbrauch wird im Steigerungsspiel zur Idee vom Mehrtun. Steigerung erfolgt weniger über die Anhäufung von Dingen, sondern in der Vermehrung bzw. Verdichtung von Erlebnissen pro Zeiteinheit. Es geht nicht nur darum, was Menschen kaufen und haben, sondern vor allem darum, was Menschen tun und machen.
Auf der Grundlage soziologischer Theorien der Steigerung und Beschleunigung liefert meine Arbeit eine umfassende Empirie zu den Wirkungen indirekter Einkommens-, aber vor allem indirekter Zeiteffekte in Deutschland. Im Zentrum der Arbeit steht die Überprüfung einer dreifachen Dividende von Arbeitszeitverkürzungen – Ressourcenschonung, soziales Engagement und individuelle Lebenszufriedenheit. Mit welchen Rebound-Effekten ist zu rechnen, wenn Menschen Freizeit gewinnen, aber Einkommen verlieren? Inwieweit steht einer ökologischen auch eine individuale und soziale Dividende gegenüber? Inwieweit wird individuelle Lebenszufriedenheit und sozialer Ausgleich mit Ressourcenverbrauch erkauft?

Ergebnisse

Zeit-Rebound-Effekte als transformationale Effekte

Um (Zeit-)Rebound-Effekte als transformationale Effekte als Wirkung sich wandelnder sozialer Institutionen (wie der Veränderung von Arbeitszeiten) und als Veränderungen in der Lebensführung besser zu verstehen, verknüpfte ich qualitative und quantitative Methoden (mixed methods). Zuerst wurden Zeit-Rebound-Effekte in einem quasi-experimentellen Design auf der Basis semi-standardisierter Interviews untersucht. Prinzipiell ist der Zeit-Rebound-Effekt hier die Substitution von Aktivtäten nach einer Arbeitszeitverkürzung. Wenn relativ ressourcenleichte relativ ressourcenintensive Aktivitäten ersetzen, ist mit geringeren Zeit-Rebound-Effekten zu rechnen und vice versa. In der kleinen Stichprobe zeigte sich, dass typischerweise relativ ressourcenintensive mit relativ ressourcenleichten Aktivitäten substituiert wurden. Dabei beschrieben die Befragten auch häufig ehrenamtliche und freiwillige Arbeiten, die neben der Erwerbsarbeit intensiviert werden konnten. Den Gewinn an freier Zeit sehen die Befragten als Gewinn an Lebensqualität, wobei negative Auswirkungen von Arbeitszeitreduktion auf den beruflichen Status und das Erwerbseinkommen wahrgenommen werden.

Die Überprüfung einer dreifachen Dividende von Zeitgewinnen – Ökologischer, sozialer und zufriedener?

Daran anschließend folgte eine integrierte Betrachtung von Einkommens- und Zeiteffekten in einer repräsentativen Studie. Geschätzt wurden die Veränderungen in der Zeitverwendung und in den Konsumausgaben nach einer Arbeitszeitveränderung in Deutschland mithilfe der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).

Erste Dividende – Ökologischer?

Es wurden Neigungen zum Güterkonsum (marginal propensities to consume) und zur Zeitverwendung (marginal propensities to time use) nach Arbeitszeitverkürzungen geschätzt. Das Konsumverhalten und die Zeitverwendung wurde mit ebenso ermittelten Ressourcenintensitäten gewichtet. Der Zeit-Rebound-Effekt ist dann der Nettoeffekt aus ökologisch gewichtetem Einkommensverlust und Zeitgewinn. Die Ergebnisse zeigen, dass über die Hälfte der Ressourceneinsparung aufgrund von Einkommenseffekten durch den Mehrverbrauch aufgrund von Zeiteffekten kompensiert werden. Mit einfachen Worten: Die ökologisch vorteilhafte Wirkung einer Reduktion der Konsumausgaben wird teilweise durch die Aufnahme oder Intensivierung von Aktivitäten aufgehoben. Die Berücksichtigung von Zeit-Rebound-Effekten relativiert demnach die Umwelt-Dividende von Zeitgewinnen. Dies liegt vor allem an den höheren Ressourcenintensitäten im Handwerk, Bauen und den hohen Intensitäten für intensivierte Freizeitaktivitäten wie Ausflüge oder Ausgehen. Insgesamt zeigt sich aber auch in der quantitativen Studie eine ökologisch vorteilhafte Verschiebung der Konsumausgaben und Zeitverwendung. Insofern ist eine Arbeitszeitreduktion durchaus als Intervention in die „Steigerung“ und „Beschleunigung“ der Lebensführung zu sehen (kein backfire).

Zweite Dividende – Sozialer?

Genauso geben die quantitativen Ergebnisse zu verstehen, dass Zeitgewinne verstärkt in regelmäßiges ehrenamtliches Engagement fließen. In Kombination mit dem Befund, dass Arbeitszeitreduktionen zur Pflege des sozialen Umfeldes in Form von Besuchen von Freunden und Nachbarn genutzt werden, ist dies als Moment verstärkter Vergemeinschaftung zu bewerten.

Dritte Dividende – Zufriedener?

Gleichzeitig zeigt sich aber auch ein positiver Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Lebenszufriedenheit. Das heißt, eine Arbeitszeitreduktion führt nicht (per se) zu einer höheren Lebenszufriedenheit. Es ist weniger bedeutend, ob Zeit gewonnen wird; es ist vielmehr entscheidend, wie die gewonnene Zeit außerhalb der Erwerbsarbeitszeit verwendet wird. Dabei leisten wiederum relativ ressourcenintensive Aktivitäten (wie diverse Hobbys oder Essen gehen), als auch zeitintensive und ressourcenleichte Zeitverwendungen (etwa sozialer Kontakt mit Freunden) ihren Beitrag zur Lebenszufriedenheit.

Fazit

Zwar kompensieren Zeit-Rebound-Effekte potentielle Ressourceneinsparungen in großen Teilen, aber nicht vollständig. Eine veränderte Lebensführung nach einer Arbeitszeitreduktion setzt sich im Steigerungsspiel fort, ohne dadurch den Ressourcen- und Energieumsatz „beschleunigen“ zu müssen (kein backfire). Davon abgesehen äußern sich Zeit-Rebound-Effekte in sozialem Engagement und höherer individueller Zufriedenheit – die erwünschten Wirkungen von Rebound-Effekten.

Summary

Times of social acceleration in an experience society

So far, Staffan Burenstam Linder´s axiom (1971) holds true that disposable time decreases as productivity and economic prosperity increases. Consumers face a cornucopia of choices to make. And with emerging options at an increasing pace, opportunity costs of consumer decisions rise. Consequently, the pursuit to diminish opportunity costs by squeezing actions or experiences (like trips, travels, going out, going to the movies, cooking, sports and so on) per time accelerates the pace of life on experience markets (Rosa 2013, Schulze 2013). Eventually, time savings become as precious as life speeds up such that opportunity costs drive resource intensive consumption. In turn, does it hold true that time-intensive activities replace resource-intensive consumption when people have more discretionary time at their disposal?

Rebound effects as transformational effects

The comprehension of rebound effects has evolved over time. More comprehensively, Steve Sorrell (2010) referred to rebound effects as the unintended consequences of actions by households to reduce their energy consumption. Every action that aims at promoting savings in resources is prone to rebound effects. With respect to time, Greening et al. (2001, p. 391) noted that “… many technological advances, in addition to fuel efficiency improvement, have resulted in changes in the allocation of time. This is reflected in a change in labour force participation rates and occupational structure.“ Greening et al. (2000) paved the way for an introduction of time-use rebound effects such that later Jalas (2006) classified the notion of time-use rebound effects as transformational rebound effects as well. They both argue that transformational effects respond to changes in consumer preferences, social institutions and in the organisation of labour— e.g. a reduction in working hours. In this regard, time-use rebound effects state that re-invested time savings may compensate for productivity gains in a similar way that re-invested monetary savings due to efficiency gains do. It would therefore be important to determine to what extent a reduction in working time is prone to time-use rebound effects.

A triple dividend of time savings – The question of environmentally Friendly, socially engaging and individually satisfying consumer behaviour

A reduction in working hours is being considered to tackle issues associated with ecological sustainability, social equity and enhanced life satisfaction—a so called triple dividend. I tested the triple dividend by applying a quasi-experimental design based on semi-standardised interviews with a small sample and by a representative study using data from the longitudinal German Socio-Economic Panel and the National Survey on Income and Expenditures in Germany.

The first dividend – environmentally friendly?

With respect to an environmental dividend, I explored how an increase in leisure time triggers a rearrangement of time budgets and expenditure, and thus the use of resources in private households. Therefore I estimated the marginal propensity to consume and the marginal propensity to time use in Germany and weighed them with the resource intensity of expenditure and time use.
My analysis suggests shifts in time use from media consumption, going out and short trips to intensifying social contacts and social relationships. However, taking leisure substitutions into account, the substitutions are in sum rather ambiguous from an environmental point of view. Substitutions in favour of resource-intensive hobbies and sports may lead to relevant time use rebound effects.
The representative estimation of the propensity to time use and to consume supports the findings that time effects may compensate for income effects to a relevant extent. Nonetheless, in spite of non-trivial rebound effects, substitutions typically result in environmentally beneficial net effects due to reduced working hours.

The second dividend – socially engaging?

The analysis showed that a reduction in working hours leads to more informal, voluntary work and care. Time savings from reducing working hours do indeed lead to an increase in social engagement. The propensity to perform voluntary work on a regular, weekly basis increases slightly in the short run. Time use is reallocated in favour of caring activities and household production. Hours of paid work were substituted by informal work.

The third dividend – individually satisfying?

Last but not least, the analysis of the effects of time use on life satisfaction showed that a reduction in working hours does not correlate with greater life satisfaction per se. Rather, the findings support the findings from the interviews. Here, the respondents reported severe shortcomings in terms of income, careers and social standing among friends. However, the estimated effects in the representative study suggested that a „smart“ recomposition of time savings may be associated with greater life satisfaction.

Conclusion

The results show that time savings trigger relevant rebound effects in terms of resource use. However, testing for a triple dividend of time saving put the rebound effects into perspective. Time use rebound effects lead to increased voluntary social engagement and greater life satisfaction, the second and third dividends of rebound effects.

  • Greening L, Greene D, Difiglio C (2000) Energy efficiency and consumption—the rebound effect —a survey. Energy Policy 28(6 – 7):389–401
  • Jalas M (2006) Busy, wise and idle time: a study of temporalities of consumption in the environmental debate. HSE Print, Helsinki
  • Linder SB (1970) The harried leisure class. Columbia University Press, New York
  • Rosa H (2013) Social acceleration: a new theory of modernity. Columbia University Press, New York
  • Schulze G (2013) The experience market. In Sundbo J, Sørensen F (eds) Handbook on the experience economy. Edward Elgar Publishing, pp 98–122
  • Sorrell S (2010) Mapping rebound effects from sustainable behaviours: Key Concepts and Literature Review. SLRG Working Paper 01-10, Brighton, Sussex Energy Group, SPRU, University of Sussex