Dirk Posse, M.A.: Zukunftsfähige Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft
Das auf Expansion beruhende sozio-technische Gesellschaftssystem ist nicht zukunftsfähig und bedarf einer grundlegenden Transformation. Angesichts ausbleibender Erfolge bisheriger Nachhaltigkeitsbemühungen hat sich das Bild einer Postwachstumsgesellschaft (Seidl/ Zahrnt 2010) entwickelt, verstanden als Suchprozess einer Transformation hin zu einer kleineren Ökonomie mit geringerem Ressourcenverbrauch. Demnach kann der notwendige Wandel nur über eine Abkehr von wirtschaftlichem Wachstum als gesellschaftliches Ziel erreicht werden. Um den wachstumskritischen Diskurs auf die praktische Ebene zu übertragen, analysiert die vorliegende Arbeit die bisher wenig untersuchte Rolle von Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft.
Das Anliegen der Arbeit ist nicht eine eigene Kategorie von „Postwachstumsunternehmen“ zu schaffen. Eine wachstumskritische Betrachtung von Unternehmen baut auf der bisherigen Diskussion um nachhaltige Unternehmen auf und erweitert sie um Fragen bezüglich der Wachstumswirkung eines Unternehmens. Das Ziel ist vielmehr, einen Orientierungsrahmen für zukunftsfähige Unternehmensstrategien zu entwickeln. Dazu werden drei Forschungsfragen bearbeitet. Die ausführliche theoretische Auseinandersetzung ergänzt eine empirische Untersuchung von Pionierunternehmen im Ernährungssektor anhand einer Fokusgruppendiskussion.
(1) Gibt es einen unternehmerischen Handlungsspielraum?
Anhand des Transition Ansatzes (Geels/Schot 2010) wird aufgezeigt, dass sich Handlungsspielräume für Unternehmen nicht von alleine ergeben, sondern dass diese bewusst geschaffen und ausgefüllt werden müssen. Die bestehenden Regeln, Normen und Weltanschauungen des sozio-technischen Gesellschaftssystems geben eine stabile Struktur vor, die sich gegenüber Veränderungen ablehnend verhält. Der konkrete Handlungsspielraum hängt daher von der jeweiligen Risiko- und Experimentierbereitschaft der Unternehmen ab und öffnet sich am weitesten für ein initiativ handelndes Unternehmen, das Kostenfaktoren, Nachfrageniveaus und Produkte als variable Aktionsparameter betrachtet. Generell können drei Argumentationsstränge für ein solch aktives Unternehmenshandeln angeführt werden.
Erstens gibt es ein ethisches, gemeinwohlorientiertes Handlungsmotiv, das auf der Handlungsverantwortung aller beteiligten Akteure aufbaut und die Schlüsselrolle der Unternehmen betont. Zweitens gilt eine unternehmerische Auseinandersetzung mit der Thematik Postwachstum als notwendige Reaktion auf kommende Entwicklungen in Form eines vorsorgenden Risikomanagements (Nachfragesättigung, Ressourcenengpässe etc.). Drittens bietet proaktives Unternehmenshandeln die Chance, einen aktiven Lösungsbeitrag zum nötigen Strukturwandel zu leisten und dadurch gleichzeitig wirtschaftliche Vorteile zu genieren.
(2) Die Analyse unternehmerischer Wachstumstreiber
Warum ist die Orientierung an quantitativem Wachstum für Unternehmen so attraktiv und vereinnahmend zugleich? Zum einen ist Absatzwachstum in der derzeitigen Anreizstruktur unabhängig von der verfolgten Unternehmensstrategie nahezu immer vorteilhaft. Zum anderen gilt Wachstum als Überlebensgarant, da ein Unternehmen, welches schrumpft, langfristig vom Markt verschwindet oder von einem anderen Unternehmen übernommen wird.
In der Analyse können fünf Haupttreiber entlang der Funktionsbereichen eines Unternehmens identifiziert werden, die eine unternehmerische Orientierung an Wachstum fördern: (1) Die Art der Finanzierung und der durch die Produktionsstruktur bestimmte Kapitalbedarf; (2) die Systemstruktur bei Beschaffung, Produktion und Absatz; (3) die Interessen von Mitarbeitern und Managern beim Betriebsaufbau sowie eine hierarchische Unternehmensorganisation; (4) das Marketing in Richtung Nachfragekreierung im Zusammenhang mit der symbolischen Wirkung des Konsums; (5) eine auf finanzielle Aspekte beschränkte Bilanzierung. Quer dazu wirken der Wettbewerbsdruck und das Gewinnstreben, die dafür sorgen, dass alle potentiell möglichen Wachstumsoptionen auch tatsächlich ausgeschöpft werden. Die Emperie zeigt, dass die konkrete Gewichtung und Ausgestaltung sich je nach Branche, Unternehmenstyp und Marktphase stark unterscheidet.
(3) Zukunftsfähige Unternehmensstrategien
Wie können Unternehmen als Pioniere des Wandels zu einer Postwachstumsgesellschaft beitragen und diese Wachstumstreiber überwinden? Die Ergebnisse der Arbeit stellen den derzeitigen Wissensstand zu wachstumsunabhängigen Unternehmensstrategien dar. In einer Postwachstumsgesellschaft herrscht keineswegs ein Wachstumsverbot für Unternehmen. Der Maßstab für ein zukunftsfähiges Unternehmen ist ein Wirtschaften innerhalb der sozialen und ökologischen Grenzen, damit die Tragfähigkeit des Planeten und der Menschen nicht überschritten wird. Aus der Annahme bereits erreichter ökologischer Grenzen folgt, dass einzelbetriebliches Unternehmenswachstum mit der Verdrängung weniger nachhaltiger Strukturen einhergehen muss, um eine absolut gesehen positive Nachhaltigkeitswirkung zu erzielen.
Der entwickelte Orientierungsrahmen zeigt auf, wie Unternehmen konkret beginnen können, einen aktiven Beitrag zur Transformation in Richtung einer Postwachstumsgesellschaft zu leisten. Hervorgehoben werden können Gestaltungsoptionen wie eine Regionalisierung von Unternehmensaktivitäten, eine Arbeitszeitverkürzung und die Wahl einer optimalen Unternehmensgröße. Um unternehmerische Wachstumstreiber weiter zu reduzieren, ist darüber hinaus eine geeignete Unternehmensstruktur und Finanzierung von Bedeutung. Durch die Öffnung für kollaborative Wirtschaftsformen können Unternehmen die Sphäre der Wertschöpfung erweitern und Konsumenten konkrete Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen, die einen kulturellen Wandel des Konsum- und Lebensstils ermöglichen. Darüber hinaus kann eine kulturelle Aufwertung suffizienter Lebensstile zusätzlich über eine transparente Bilanzierung und Kommunikation unterstützt werden.
Der Orientierungsrahmen soll jedoch nicht den Eindruck erwecken, für die Gestaltung zukunftsfähiger Unternehmenskonzepte gäbe es ein Patentrezept. Jegliche Strategien müssen an die jeweiligen kulturellen, ökonomischen und ökologischen Bedingungen im lokalen Kontext angepasst werden. Vielfalt statt Einheit ist die Devise für eine gesellschaftliche Resilienz. Es geht darum, übertragbare Beispiele sichtbar zu machen und diese im Sinne von Experimenten weiterzuentwickeln, um daraus zu lernen. Die empirische Untersuchung zeigt, dass für einige Teilaspekte schon Lösungen bestehen, während diese für andere Bereiche noch gefunden beziehungsweise ausgebaut werden müssen. Die Arbeit versteht sich als Beitrag zu diesem Suchprozess.
Dirk Posse
Zukunftsfähige Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft
Ausgezeichnet mit dem Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie 2014
132 S., VÖÖ e.V., Heidelberg, Februar 2015, ISBN 978-3-9811006-2-4,
erhältlich im Buchhandel oder versandkostenfrei bei uns, 11,95 €.
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